Vittorio Messina. Postbabel e dintorni
Halle oben Zeitraum
06.04.2014 - 25.05.2014
Mit „Postbabel“ und „Dintorni“ kündigen sich im Titel die Themen der Ausstellung an. Es geht um Kunst, die Architektur verhandelt, um unsere Vorstellung von architektonischen Visionen, um das Bild der Ruine und der Verwirrung, um die Erfahrung verschiedener Sprachen, Materialien und Formen. Im Wort Postbabel klingt an, dass der Künstler auf die biblische Erzählung des Turmbaus von Babel Bezug nimmt, dessen Verfehlung und Scheitern im 1. Buch Mose (Gen 11.1-9) beschrieben wird. Die Zerstreuung, die als Strafe Gottes auf den Bau der Stadt folgte, welche mit dem Turm alle Wirrsal der Sprachen (Babel) überwunden hatte, verweist auf die andere Dimension eines Bauwerks, auf die Umgebung. Mit Dintorni lenkt der Künstler die Aufmerksamkeit auf das Umgebende, auf den Rhythmus dessen, was den Raum definiert, auf die Proportionen und Maßstäbe, aber auch auf das, was eine jede Konstruktion umgibt. Es geht bei vielen Arbeiten um die Ambivalenz dessen, was sich Ort oder Körper nennt.
Seit den 1980er Jahren verfolgt Vittorio Messina intensiv sein Interesse an Architektur. Es entstehen die „celle“, konzeptuelle Räume, die als Archiskulpturen geformt sind wie Zellen. Diese versinnbildlichen den Akt des Bauens, stellen aber auch den konstruktiven Prozess und die Annäherung der Künste an die Idee des idealen Raums in Frage. In der Kunsthalle Göppingen zeigt der Künstler eine Installation, für die er ganz verschiedene Materialien verwendet, darunter Metall, Holz, Gasbetonsteine und Schraubzwingen. In ihrer Verwandlung verhandeln sie Architektur. Es wird die Frage aufgeworfen, was das Architektonische dem Gedanken nach ist. Dem Bild nach bewegt sich die vor Ort entstandene Installation im Rudimentären, denn sie ist zu den Seiten offen und stellt keinen fertigen Bau vor Augen. Sie deutet mit ihrer skelettartigen Konstruktion die Elemente an, aus denen sich Gebäude, Bauwerke wie Plastiken zusammensetzen. Das System, das dem Bauen zugrunde liegt und aus dem sich eine große gestalterische Kraft schöpft, ist letzthin ein Organismus, das die Zelle zum Kern hat.
Vittorio Messinas komplexe Konstruktionen bestehen zumeist aus industriellen Materialien. Das Gefüge, funktional organisiert, um nicht einzustürzen, ist lebendig, beinahe fragil und spielt mit der Wahrnehmung von Raum und Zeit. Es begreift sich organisch, wenn Rohre wie Blutbahnen seine Mauern durchdringen. Die Zellen (celle) als die kleinsten Einheiten im Gefüge bilden die Fundamente eines inneren wie äußeren Gebäudes. Sie sind die Zuspitzung, indem sie Grundrisse für etwas Neues, aber auch Reste einer stehen gelassenen Baustelle oder eines fragmentarischen Gedankens bezeichnen. Wer sie betritt, ist für sich, getrennt vom Außen und doch sichtbar für alle im Herzen des Moduls. Im Hinblick auf die Idee, dass Architektur jene Vorstellung des Raums beschreibt, wo Menschen leben, gibt der Künstler mit seinen Arbeiten zu bedenken, dass architektonische Strukturen auf den Körper des Menschen bezogen sind. Sie thematisieren die Umgebung im Wechselspiel von Innen und Außen.
Durch die Ausstellung zieht sich der Gedanke, dass mit den plastischen Objekten und mit der offenen Architektur eine neue Sprache entstehen und eine andere Vision des Raums sichtbar werden kann. Das erinnert an das Versprechen aus der Offenbarung des Johannes, dass eine neue Stadt, ein neues Jerusalem, am Ende der Apokalypse auftauchen wird, aus dem Himmel herabfahrend. Vittorio Messina rückt gerade durch die Allgemeinheit seiner mit Intensität vorgebrachten Werke die verschütteten Orte, die Räume menschlicher Empfindungen in das Licht, ohne dass seine Kunst allerdings des Sockels bedürfe, um dieses Herausheben zu erreichen.
Die Ausstellung in der Kunsthalle Göppingen ist in Zusammenarbeit mit dem Museo d’arte contemporanea di Roma MACRO entstanden.