Marc Chagall. Die Bilder und die Dichtung
Halle oben Zeitraum
01.12.2014 - 15.03.2015
Marc Chagall (1887–1985) ist neben Pablo Picasso, Max Ernst, Henri Matisse, Ernst Ludwig Kirchner und anderen Malern der Moderne eine herausragende Künstlerfigur des 20. Jahrhunderts. Er gehört zu den malenden Erzählern, die mit Bildern Fiktionen vor Augen führen. Die Folklore der jüdisch-weißrussischen Tradition und die Melancholie des Zirkus machte Chagalls Kunst weltweit bekannt. Seine großartige Bilderwelt lebt im Besonderen auch von der intensiven Auseinandersetzung mit Werken der Dichtung. Chagall, der Künstler-Leser, übersetzt Texte aus der griechischen Antike und des Christentums, aus den verschiedenen europäischen Literaturen und aus der eigenen Feder in seine universale Bildsprache. Vor allem seine originalgraphischen Zyklen führen seine einfühlsame Imagination und seine Grenzgänge zwischen Wort und Bild vor Augen. Hier erfindet er die literarischen Bilder neu und schafft in großer Vielfalt lebendige und farbintensive Werke. Sie offenbaren die Faszination von Chagalls fast ein Jahrhundert umfassendem Wirken.
Die Ausstellung zeigt alle wesentlichen originalgraphischen Zyklen von Marc Chagall. Zu den Werken der literarischen Graphik, die einen wichtigen Teil von Chagalls populärer Kunst darstellt, zählen die Radierungen, Lithographien und Gouachen, die im Auftrag von Verlegern entstanden sind. Chagall hat vielfach berühmte Romane und Bücher gewählt, um in umfassenden Blätterfolgen die literarische Welt im Bild erneut zu erzählen. Er hat aber auch für seine eigenen Texte bildliche Darstellungen geschaffen. Die Ausstellung widmet sich diesem Wechselspiel von Text und Bild. Sie zeigt die kompletten Bilderfolgen u.a. zu Nikolai Gogol „Die toten Seelen“ (1923-27/1948), Jean de la Fontaine „Fabeln“ (1927- 1930/1952), Die Bibel (1931/1956, 1960), „Arabische Nächte“ (1948), zur bukolischen Dichtung von Longus „Daphnis und Chloé“ (1961) und zu Homers „Die Odyssee“ (1975). Aber auch die Blätter zu Büchern und Mappen wichtiger französischer Autoren sind zu betrachten, darunter die frühen Radierungen zu der Erzählung „Maternité“ von Marcel Arland (1926) und zu der Textsammlung „Die sieben Todsünden“ (1926) von Jean Giraudoux und anderen, aber auch zu Jean Paulhan „De Mauvais Sujets“ (1958) und zu Louis Aragon „Celui qui dit les choses sans rien dire“ (1975/76). Zu den Exponaten gehören darüber hinaus Arbeiten, die Marc Chagall zu seinen eigenen Gedichten und Texten geschaffen hat, so dass seine „Träume“ (1981) und die faszinierende Welt des „Zirkus“ (1967) als Bild und als Wort dem Besucher gleichermaßen vor Augen treten. Sind Chagalls spätere farbige Lithographien von intensivem, geradezu lyrisch-poetischem Ausdruck, überrascht die zeichnerische Expressivität, mit denen er die frühen Radierungen zu Gogols 1842 erschienenem Poem „Die toten Seelen“ gestaltet. Selten waren die Arbeiten des „Dichter-Malers“ so textnah wie bei diesen Bildern, und doch schafft Chagall mit ihnen etwas anderes als Textillustrationen. Gogols an Metaphern reiche Sprache überträgt der Maler mit seiner ihm eigenen Experimentierfreude in das graphische Medium; er erfindet mit bildkünstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten eine Paraphrase und verleiht dem Text im Bildmedium einen unvergesslichen, prägnanten Ausdruck. Die Radierungen entfalten eine genuine poetische Kreativität, mit denen die „toten Seelen“ ein bildhaftes Leben gewinnen- Chagall zeichnet sich mit diesen 96 Radierungen in die Avantgarde seiner Zeit.